15. Juni 2021
Erneut enttäuschende US-Arbeitsmarktzahlen werden Anstieg der Lohninflation nicht verhindern können
Neue Virusvarianten werden auch in Zukunft eine komplette Öffnung der Weltwirtschaft verhindern. Der Impfabstand Europas zu den USA hat sich stark verringert. Die Inflationsgefahr ist hoch, ein Zurückfahren der expansiven Geldpolitik noch nicht in Sicht. Die Erholung des US-Arbeitsmarktes findet langsamer als vom Konsens erwartet statt. Obwohl seit der Pandemie mehr als 7 Millionen Arbeitsplätze vernichtet wurden, ist ein Anstieg der Lohninflation wahrscheinlich. Der kommende Anstieg der Konsumentenpreisinflation wird weniger transitorisch sein, als es uns die Zentralbanken versuchen einzureden.
Neue Virusvariante B1.617
Ständig tauchen neue Mutationen auf. Die neuste indische Variante B1.617 ist nicht nur leichter übertragbar, sondern verfügt auch über die Fähigkeit, einer beschränkten oder vielleicht sogar weitgehenden Immunumgehung. Somit sind die bestehenden Unsicherheiten hinsichtlich der Dauerhaftigkeit des Impfschutzes leider nicht auszuräumen. Deshalb wird es auch in Zukunft immer wieder Reisebeschränkungen geben. Frankreich beispielsweise möchte zusätzliche Reisebeschränkungen mit Grossbritannien einführen, um gegen diese «indische Variante» anzukämpfen.
Impfrückstand Europa gegenüber USA verringert
Erfreulich ist, dass sich der Impfrückstand in Europa gegenüber den USA deutlich verringert hat. In Deutschland sind mittlerweile bereits fast 45% zum ersten Mal geimpft, in der Schweiz über 34% und in den USA sind bald über 50% der Erwachsenen das zweite Mal geimpft. Die Fallzahlen sind deutlich rückläufig. Dies liegt jedoch auch am wärmeren Wetter. Die sehr viel tieferen Inzidenzzahlen ermöglichten die Öffnung der Gastronomie und erhöhen die Chancen auf eine nur teilweise gestörte Feriensaison. Die Öffnungen der Teile der Wirtschaft, welche am stärksten durch die Lockdowns betroffen waren, haben mittlerweile sogar die Flugzeughersteller erreicht. Airbus plant per 2023 die Flugzeugproduktion von derzeit 45 auf 64 und auf 75 bis 2025 pro Monat zu erhöhen. Ende 2019 wurden 45 Flugzeuge pro Monat produziert. Somit ist der Optimismus zumindest in der europäischen Flugzeugindustrie angekommen.
Keine Entwarnung im «Rest der Welt»
Leider gibt es keine Entwarnung in den Schwellenländern, insbesondere in Indien aber auch in Asien allgemein. Die Probleme in Afrika werden erst gar nicht annähernd adäquat erfasst und rapportiert.
Melbourne hat einen erneuten Lockdown beschlossen. In Vietnam und Thailand steigen die Zahlen sprunghaft an, es werden Rekordzahlen an Toten genannt.
Nachhaltige weltweite Entwarnung an der Virusfront würde zu Warnung an der geldpolitischen Front führen
Würde die gesamte Welt schnell alle Lockdowns beenden, würde es vermutlich zu einer Überhitzung der Weltkonjunktur und einer weltweit restriktiveren Geldpolitik kommen. Derzeit sehen wir nicht, dass dieses Szenario eine grosse Eintrittswahrscheinlichkeit hat.
Politiker werden aufgrund zukünftig neuer Mutationen immer neue Lockdowns und partielle Reisebeschränkungen einführen. Trotz der expansiven Fiskal- und Geldpolitik ist ein realwirtschaftlicher Boom nicht in Sicht. Die derzeit hohen Wachstumsraten werden in spätestens 3-6 Quartalen wieder deutlich sinken. Somit sehen wir vorerst nicht, dass die Zentralbanken ihre «Füsse vom Gaspedal» nehmen. Die FED hat erst begonnen darüber zu sprechen, dass man irgendwann «darüber wird sprechen müssen», mit dem Rückfahren der Liquiditätsprogramme zu beginnen. Leider ist der vorangegangene Satz kein Witz. Er ist ein Ausdruck, wie extrem «verdreht» und verzweifelt die Geldpolitik geworden ist.
FED-Bilanz auf dem Weg zu 9’000 Milliarden US-Dollar
Die New-York FED selbst geht davon aus, dass die FED-Bilanz gegen Ende 2022 rund 9’000 Milliarden US-Dollar betragen dürfte. Dabei gehen die Projektionen davon aus, dass vorerst pro Monat Staatsanleihen und verbriefte Pfandanleihen pro Monat im Wert von 120 Milliarden Dollar aufgekauft werden und nach 6 Monaten langsam «getapert» wird, das heisst die Aufkaufsumme langsam zurückgefahren wird. Anfang 2020 betrug die Bilanzsumme 4’100 Milliarden US-Dollar, derzeit liegt sie bei rund 8’000 Milliarden US-Dollar.
Inflationsgefahr hoch
In einigen Sektoren in den USA, insbesondere beim Detailhandel, in der Hotellerie und in der Gastronomie kam es zu einem Anstieg der Lohninflation. Auch wenn die zusätzlichen Arbeitslosenunterstützungen auslaufen, besteht die Gefahr, dass die Löhne weiter ansteigen, da die erwartete Inflation immer noch am Ansteigen ist und letztlich über Reallöhne, und nicht Nominallöhne verhandelt wird.
US-Arbeitsmarkt kann hohe Erwartungen erneut nicht erfüllen
Das Büro für Arbeitsmarktstatistiken gab bekannt, dass im April «nur» 559’000 neue Stellen geschaffen wurden, statt wie erwartet 650’000. Im Vergleich zur Beschäftigung vor der Pandemie im Februar 2020 wurden netto 7.6 Millionen Arbeitsplätze vernichtet. Somit müssten 8 Monate jeweils 1 Million Stellen geschaffen werden, um den alten Beschäftigungsstand zu erreichen! Der Arbeitsmarkt ist dennoch nicht «schwach genug», um einen Anstieg der Lohninflation zu verhindern.
Staat führt «Geheimsteuer» ein
Die ultraexpansive Geldpolitik wird zu einer längerfristig höheren Inflationsrate führen. In der Regel geschieht dies nur, wenn eine sogenannte «Lohn-Preis-Spirale» in Gang gesetzt wird. Die Kommunikation der Zentralbanken versucht die Inflationserwartungen tief zu halten, was nur bedingt gelungen ist. Mit einem deutlichen Anstieg der erwarteten Inflation in praktisch allen Ländern werden die Lohnverhandlungen in Zukunft «aggressiver» und die Rufe nach einem Inflationsausgleich lauter werden.
Die Anzeichen, dass die Konsumentenpreise in den nächsten Monaten deutlich ansteigen werden, häufen sich: die Produzentenpreise in China, den USA und Deutschland wachsen derzeit allesamt über 4% gegenüber dem Vorjahr. Die Rohstoffpreise verzeichnen deutliche Preisanstiege, die Frachtpreise «schossen durch die Decke». Zusammengefasst: der Preisdruck am Anfang der Produktionskette ist hoch und wird sich verzögert am Ende der Produktionskette in höheren Konsumentenpreisen niederschlagen. Eigentlich ist dies das, was die Zentralbanken und die Fiskalpolitiker wollen, auch wenn sie das Gegenteil behaupten. Denn, das Ziel der monetären und fiskalischen Zentralplaner ist es, unerwartet hohe Inflation zu generieren, um so die Überschuldungsproblematik zu bekämpfen und sich real betrachtet zu entschulden. Es handelt sich um eine «Geheimsteuer» – eine Entwertung von nominal fixierten Ersparnissen. Alle Verträge, die keine Inflationsausgleichsklauseln beinhalten (solche Verträge sind in den meisten Staaten verboten!) werden für die Gläubiger weniger wert (Kreditgeber an den Staat) und die Schuldner wertvoller (Kreditnehmer Staat), da die Schuldenlast real betrachtet schrumpft. Wer Märchen liebt, sollte deshalb statt Zentralbank-Kommuniqués die spannenderen und sprachlich hochwertigeren Volksmärchen, zum Beispiel der Gebrüder Grimm lesen. Aufgrund der Steuerprogression und der Besteuerung der Nominaleinkommen findet bei den privaten Haushalten zudem eine automatische Erhöhung des Steuersatzes statt, wenn es diesen gelingt, wenigstens einen Teil der Inflation in höhere Nominallöhne zu überwälzen. Auch durch diesen Mechanismus wandern mehr Ressourcen in die Hände der Staatsbürokraten.
Schweiz beendet Gespräche über Rahmenabkommen mit EU
Sieben Jahre währende Gespräche über ein institutionelles Rahmenabkommen mit der EU blieben fruchtlos und wurden von Seiten der Schweiz abgebrochen. Die EU hat angekündigt, dass sie auslaufende bilaterale Abkommen nicht mehr automatisch verlängern wird. Vermutlich können die Auswirkungen auf die Realwirtschaft vernachlässigt werden. Die meisten bilateralen Verträge dürften nach einem Hickhack schliesslich doch verlängert werden.
Kontakt: Thomas Härter, CIO, Investment Office
Telefon: +41 58 680 60 44
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